Zu Gast bei der Literaturagentur Graf und Graf

MommsenstraßeUnscheinbar wirkt das Klingelschild von Graf und Graf in der Berliner Mommsenstraße. Als ob man gar nicht groß auffallen wollte. Der Internetauftritt der Literaturagentur gestaltet sich ähnlich. Mehr als die Standard-Eckdaten findet man auf der Webseite nicht. Kein Wort zu vertretenen Autoren, literarischen Erfolgen, Literaturpreisen. Ein Unternehmen, das keine Aufmerksamkeit erregen will, sondern lieber im Hintergrund agiert. Ungewöhnlich in unserem exhibitionistischen Zeitalter, in dem jeder und jede versucht, sich im besten (Rampen-)licht darzustellen.

Im Rahmen des 24 Stunden Buch Berlin öffnete die Literaturagentur Graf und Graf seine Pforten für eine Betriebsführung. Ich war gespannt – Literaturagenturen und klassische Verlage, das gehört für mich zusammen. Wie agieren also Literaturagenturen im Zeitalter von Selfpublishing und Internet?

Von digitalem Publishing war nicht viel zu hören. Einen sehr klassischen Eindruck machte die seit 1995 bestehende Agentur auf mich. Damals waren Literaturagenten in Deutschland noch unüblich, aber in den 90er Jahren etablierte sich die anglo-amerikanische Tradition auch in Deutschland. Literaturagenten vermitteln Manuskripte an Verlage. Dafür werden Sie am Umsatz beteiligt, üblicherweise mit 15%. Agenturen, die sich im Voraus bezahlen lassen, sind nicht seriös. Der Vorteil eines Agenten für unbekannte Autoren liegt auf der Hand: Wer sich ohne Kontakte an einen Verlag wendet, riskiert eine schnelle Absage. Da vertraut man sich lieber einer Agentur an, die bereits über ein großflächiges Netzwerk verfügt. Frau Graf war vor der Agenturgründung 20 Jahre als literarische Übersetzerin tätig, an Kontakten hat es wohl bei der Agenturgründung nicht gemangelt.

Aber auch bereits etablierte Autoren schalten gerne einen Agenten ein, so erzählt man uns. Denn Agenten besitzen Verhandlungsgeschick. Und wer hierin geübt ist, verhandele eben auch die besseren Konditionen für seine Autoren.

Eine Frage vor allem interessiert wohl alle Autoren unter uns: Wo findet Graf und Graf vielversprechende Autoren und Texte? Unverlangte Manuskripte werden nicht angenommen, so steht es auf der Webseite. Vitamin B lautet die nicht allzu überraschende Antwort. Sie vertrauen den Empfehlungen von Autoren, die bereits bei ihnen unter Vertrag sind, oder den Tips von Lektoren. An versteckte Perlen auf Selfpublishing-Plattformen glauben sie auch, haben aber schlicht nicht die Zeit, dort zu recherchieren. Eine weitere Gelegenheit zur Talentsuche sind die Literaturwettbewerbe. Dort wird nach jungen Autoren Ausschau gehalten, die nächste Gelegenheit in Berlin wäre der 21. Open Mike.

Ist nun ein vielversprechender Autor gefunden, verlangt Graf und Graf ein fertiges Manuskript. Anders als bei den Sachbüchern, deren Vermittlung immerhin 40% des Geschäfts ausmacht. Bei einem Sachbuch reicht ein Exposé + Leseprobe. Zwischen drei Tagen und drei Monaten dauert dann die Vermittlung an einen Verlag. Danach sinkt die Aussicht auf Erfolg immens. Bis zum Verkauf des Manuskripts übernimmt die Agentur allerdings durchaus auch Lektoratsarbeiten. Denn die Verlage wollen heute die Manuskripte fertig einkaufen.

Für Graf und Graf jedenfalls lohnt sich das Geschäft. Ca. 100 Verträge schließen sie jährlich ab, arbeiten mit rund 50 Verlagen zusammen. Für den Erfolg braucht man ein Gespür für die Qualität von Texten. Verhandlungsgeschick ist unabdingbar. Und natürlich muss ein gewisses Maß an Unermüdlichkeit vorhanden sein. Der Weg des Buches zum Verlag kann lang sein.

Werden sich also die Literaturagenturen im Zeitalter des Selfpublishing halten können? Auch wenn immer mehr Autoren inzwischen diesen Weg gehen, einem Verlag sind doch die Wenigsten abgeneigt. Aber den muss man erst mal finden. Jasper Fforde kassierte z. B. 76 Ablehnungen, bevor ein Verlag sein Manuskript der Thursday Next-Kultreihe akzeptierte. Diese zahlreichen Absagen kann ein Selfpublisher natürlich umgehen. Kommt nun aber ein Verlag oder Agent um die Ecke, der nicht nur das Lektorat, sondern auch Covergestaltung, Marketing und Pressearbeit abnimmt, kommt man ins Grübeln. Auch wenn die Gewinnspannen der Selfpublishing-Plattformen attraktiv sind, die Exemplare müssen erst mal verkauft werden. Und es gibt inzwischen zahlreiche Autoren, die als Selfpublisher angefangen haben, dann aber zu einem Verlag gewechselt sind.

Wenn Autoren also auch in Zukunft den Verlagen gegenüber aufgeschlossen bleiben, hätten auch viele Agenten weiterhin zu tun. Wenn sie vielleicht auch in Zukunft mit weniger Manuskripten überschüttet werden und selber auf die Suche gehen müssen. Z. B. auf Selfpublishing-Plattformen die Rosinen rauspicken, so wird es ja vielfach schon praktiziert.

Graf & Graf jedenfalls wird der Selfpublishing-Trend nicht viel anhaben. Hier wird keine Trivialliteratur verlegt, die Ansprüche sind hoch. Davon zeugen schon die vielfachen Literaturpreise der betreuten Autoren. Zuletzt gab es den Leipziger Buchpreis für David Wagners Leben. Die gängigen Selfpublishing-Formate wie Thriller, Erotik, Fantasy oder Science Fiction sucht man bei Graf & Graf vergeblich. Da wird es wohl keine Konkurrenz geben.

Vielleicht ist dies die Erklärung, warum der Agenturbesuch für mich den Beigeschmack einer Zeitreise hatte. Mitte der 00er-Jahre begann ich meine Anstellung bei einem Verlag am Kurfürstendamm, gleich hinter der Mommsenstraße. Gediegener Altbau, schwere Regale aus Holz, meterweise Bücher. Gemacht für die Ewigkeit. Der Verlag baut inzwischen massiv Stellen ab, verkauft ganze Sparten und hofft inständig, dass dieses blöde Internet-Dings irgendwann wieder vorbei geht. Bei Graf & Graf keine Spur von den Umwälzungen. Die Regale werden wohl noch eine Weile stehen.

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